Ausweitung der Weinbaugrenzen
Inwieweit kann der Weinbau, der auf warme Temperaturen angewiesen ist, als Indikator der hochmittelalterlichen Wärmegunst im nordalpinen Raum dienen? Zahlreiche Studien zur Verbreitung des Weinbaus konnten aufzeigen, dass Wein im Hochmittelalter nicht nur in den alten Anbaugebieten an Mosel und Rhein in Lagen bis zu 200 Metern oberhalb der heutigen Weinbaugrenze erzeugt wurde, sondern auch weit im Norden bis nach Holstein und Ostpreußen sowie in England und im südlichen Skandinavien.
Die Weinrebe gehört zu denjenigen Kulturpflanzen, bei denen Klima und Witterung eine große Rolle spielen. Ihren hohen Ansprüchen kann der Weinbau in nördlichen Breiten daher nur an günstigen Standorten gerecht werden. Weinbau deutet darauf hin, dass Nachtfröste im Frühjahr selten sind und die Sonnenscheindauer im Sommer und Herbst ausreichend ist, um Wein zu erzeugen. Die jährlichen Qualitätsunterschiede einzelner Weinsorten zeugen von der Relevanz des Klimafaktors für den Weinbau, zumal alle menschlichen Bemühungen darauf gerichtet sind, optimale Qualität zu garantieren.
Wie sehr verschob sich die nördliche Weinbaugrenze während der Warmphase des Hochmittelalters? Ausgehend von den spätrömischen Rebanlagen an Mosel und Rhein hatte sich der Weinbau bereits in der Karolingerzeit vom linksrheinischen Raum auf die Gebiete rechts des Rheins ausgebreitet. Eine vermehrte Anlage von Weinbergen ist in Mitteleuropa vor allem seit dem 11. Jahrhundert zu registrieren. Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert verdichtete sich die Rebkultur nicht nur im Rheinland, sondern auch im Elsass, auf der rechten Seite des Oberrheins und in den innerschwäbischen Regionen. Bis um 1300 wurden auch das Maingebiet und der angrenzende Raum für die Weinrebe erschlossen, so dass der Weinbau hier im 14. Jahrhundert bereits sein späteres Verbreitungsgebiet erreichte.
Im Bereich von Saale und Unstrut, im Thüringer Becken und im Elbtal hatte sich der Weinbau ebenfalls ausgedehnt. Von den älteren Weinbauregionen aus war der Weinbau während des Hochmittelalters auch in klimatisch weniger begünstigte Anbaugebiete transferiert worden, etwa in die Eifel und nach Westfalen. Nach Norden hin drang der Weinbau bis Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Ostpreußen vor. In Polen wird Weinbau bereits im 13. Jahrhundert an der unteren Nida erwähnt; in anderen Teilen Polens werden Rebanlagen in Posen und Plock genannt. Im Gebiet des Deutschen Ritterordens gab es Weinberge vor allem in der Gegend von Rastenburg, Leunenburg und Thorn. Detaillierte Studien zu den Weinbauregionen in Nord- und Ostdeutschland haben ergeben, dass sich die Rebpflanzen auf ausgesuchten Flächen im Umkreis von Städten, Klöstern und Kirchen zur Deckung des Eigenbedarfs konzentrierten.
Klimaverschlechterung im Spätmittelalter
Im 14. und 15. Jahrhundert setzte nach dem Ende der hochmittelalterlichen Warmzeit eine Phase der Klimaverschlechterung und Abkühlung ein, die schließlich zur "Kleinen Eiszeit" der Frühen Neuzeit überleitete. Der Klimawandel trat besonders im Verlauf der großen Hungersnot von 1315 bis 1317 hervor. Strenge Winter, verregnete Sommer und überwiegend kühle Frühlings- und Herbstzeiten leiteten eine Hungerkatastrophe ein, die durch ihre Dauer alle Hungersnöte des Jahrhunderts davor weit übertraf. Das Notstandsgebiet schlechter Ernten und hoher Menschenverluste erstreckte sich von England über Frankreich und Deutschland bis zu den skandinavischen Ländern.
Nach einigen guten Jahren begann Mitte der 1330er Jahre erneut eine Phase schwieriger Klimaverhältnisse mit ernsten Auswirkungen auf Landwirtschaft und Agrarkonjunktur. Mitte des 14. Jahrhunderts war die Pest der Jahre 1347 bis 1352 ein Ereignis, das katastrophale Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft hatte. Während weniger Jahre wurde die Bevölkerung um mehr als ein Drittel dezimiert, als sich die todbringende Krankheit ausbreitete. Warum hatte der "Schwarze Tod", der vom Orient eingeschleppt worden war, so verheerende Auswirkungen auf die europäische Bevölkerung? Zweifellos traf die Pest, die in mehreren Seuchenzügen daherkam, auf eine Bevölkerung mit geminderter Resistenz und schwachen Reserven. Die Klimaveränderungen und krankheitsfördernde Momente erklären aber nur einen Teil der offenen Fragen, zumal die Pestepidemien in den einzelnen Ländern unterschiedlich stark auftraten.