Bevölkerungsexpansion und Landesausbau

Welche Auswirkungen hatte die hochmittelalterliche Warmphase auf Agrarwirtschaft und Bevölkerungsdichte? Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert vergrößerte sich die Bevölkerung in den meisten west- und mitteleuropäischen Ländern um das Zwei- bis Dreifache. In Frankreich wuchs in diesem Zeitraum die Bevölkerung von etwa sechs auf 19 Millionen, während in Deutschland eine Zunahme von etwa vier auf 12 Millionen stattfand. In Wechselwirkung zur enormen Bevölkerungsexpansion wurde das Kultur- und Ackerland auf Kosten der bis dahin noch anders genutzten Flächen und der Waldareale ausgeweitet. Dieser hochmittelalterliche Landesausbau vollzog sich in Deutschland in zwei Bereichen: einerseits in der Binnenkolonisation und dem Ausbau des altdeutschen Siedlungsgebietes und andererseits in der Ostsiedlung, wodurch die Gebiete jenseits von Elbe und Saale kolonisiert wurden. Der intensive Landesausbau verwandelte das Bild der mitteleuropäischen Landschaft in ein blühendes Kulturland von Hof- und Dorfgemarkungen. Gleichzeitig veränderte sich im Gunstklima des Hochmittelalters das Siedlungsbild Europas durch die Entstehung zahlreicher Städte als Zentren von Handel und Gewerbe.

Intensivierung der Getreidewirtschaft

Im warmen Makroklima des Hochmittelalters verschoben sich die Anbaugrenzen der Kulturpflanzen, so dass die Expansion der Agrarwirtschaft und die Verdichtung der Siedlungen vorangetrieben wurden. Man muss berücksichtigen, dass selbst geringe Veränderungen in der Durchschnittstemperatur und im Ausmaß der Niederschläge beachtliche Auswirkungen auf die Pflanzenwelt haben konnten. Die Länge der Wachstumsperiode verschob sich durch die erhöhte Durchschnittstemperatur im mittel- und nordeuropäischen Raum um bis zu vier Wochen. Dies wirkte sich äußerst vorteilhaft auf die Wachstumsperiode der Pflanzen und die Höhe der Ernteerträge aus. Die Erwärmung des Klimas begünstigte den für die Ernährung der anwachsenden Bevölkerung wichtigen Getreideanbau, so dass man zu Recht von einer hochmittelalterlichen "Vergetreidung" der europäischen Kulturlandschaft gesprochen hat.

Sorgfältige Untersuchungen zur Getreidewirtschaft in England und Schottland haben ergeben, dass sich das Ackerland während des 12. und 13. Jahrhunderts in manchen Regionen in Höhen ausdehnte, die lange Zeit zuvor nicht und auch in späteren Epochen nicht mehr bebaut wurden. Interessante Studien zu Getreidebau und Klimawandel in einigen Bergregionen des südöstlichen Schottland legte der Geograph Martin Parry vor. Im 13. Jahrhundert erreichte demnach der Ackerbau mit unterschiedlichen Getreidesorten in vielen Gemarkungen der Lammermuir Hills eine erstaunliche Ausdehnung und Bedeutung. Exakte Angaben zu den Getreidebaugrenzen des Hochmittelalters in dieser Bergregion lassen sich auf Grund der geringen schriftlichen Bezeugung zwar nicht vorlegen, doch ergeben sich durch Vergleiche mit anderen Orten und Regionen einige Anhaltspunkte.

Die Ausdehnung der Getreidebaugrenzen nach Norden hin lässt sich im Hochmittelalter besonders im skandinavischen Raum beobachten. In Norwegen reichte der Anbau von Gerste und anderen Getreidesorten im 11. Jahrhundert bis nach Malangen im Norden, und sogar im Gebiet von Trondheim wuchs Weizen auf klimatisch günstig gelegenen Feldern. Aufzeichnungen aus der Trondheimer Gegend deuten darauf hin, dass der Getreidebau in dieser Region erst im späten Mittelalter eingestellt wurde, als die Klimagunst des Hochmittelalters vergangen war. Andreas Holmsen entdeckte, dass sich in Norwegen die gerodeten Waldgebiete und die von Bauern bewirtschafteten Flächen bereits seit dem 10. Jahrhundert stark ausdehnten und bis zu 200 Metern in die Höhe hinaufreichten.